Tag Zwei



Heute besuchen wir mit unserem Reiseführer, dessen Vater einst aus Polen nach Israel auswanderte, die Jerusalemer Altstadt. Die Route ist im Gegensatz zu unserem persönlichen Trip am Vorabend jedoch durchorganisiert, geführt und kommentiert. Zunächst gehen wir noch einmal zur Klagemauer und diesmal hab ich auch eine Kopfbedeckung mit, die es mir erlaubt, ganz nah heran zu gehen. Ein Ort der Stille ist es aber tagsüber nicht. An den Touristen liegt das weniger, sondern eher an den zahlreichen jüdischen Besuchern, die nur sehr vereinzelt im Gebet versunken sind, sondern vor allem diverse Initiations- und andere Riten feiern. Eine innige, insichgekehrte Stimmung kommt bei mir, zumal bei sengender Vormittagshitze, jedenfalls nicht auf. Es ist eben ein Pilgerort, laut und bunt. Ergreifend lebendig, beeindruckend international und dennoch macht hier rein gar nichts einen chaotischen Eindruck, denn alles und jeder ist konzentriert auf die Wahrnahme dieses besonderen Platzes mit seiner berauschenden Lebendigkeit. Man fühlt sich innerlich ein wenig geordneter beim Verlassen, so als hätte man doch eine Art pulsierenden Mittelpunkt von Etwas soeben entdeckt. Von der Welt, der Gemeinschaft und somit eben auch ein kleines bisschen von sich selbst.

Sodann geht es weiter; der etwas harsch wirkende Reiseführer treibt uns voran. Es wirkt alles leicht gehetzt und unsere kleine Reisegruppe verliert mal mich, mal mich und meinen Vater, mal uns beide mit noch zwei Anderen, aber richtig los werden sie uns nicht. Denn man braucht nur den anderen Touristengruppen folgen, die allesamt ganz bestimmte Ziele an- und durchlaufen: Den Leidensweg Jesu - via dolorosa, via crucis. Von Mariä Geburtshaus bis zur Grabeskirche, von Pontius Pilatius' Residenz bis zum Standort der Kreuzigung. Ich berühre die Grabplatte Jesu, mache Fotos von original römischen Bauwerken, streite mich mit irgendwelchen Touris, wer wen zuerst geschubst hätte, trinke frisch gepressten Granatapfelsaft, ach, wenn Jesus das gewusst hätte, wie egal einem es sein kann, dass man grad die Straße entlanggeht, die er, sein und unser aller Kreuz tragend, beschritt. Von Innerlichkeit und Ergriffensein ist nun keine Spur mehr; man muss vielmehr aufpassen, dass man keinen einheimischen Straßenhändler zu sehr anschaut, da man sonst minutenlang damit verbringt, zu begründen, weshalb man irgendein Souvenir nicht kaufen möchte. Aber hey, so ging hier es im ersten Jahrhundert des Herrn auch schon zu. Eigentlich kein bisschen anders.

Am Nachmittag dann endlich fahren wir also in die West Banks, noch dazu in ein Gebiet, das rein palästinensisch verwaltet wird. Also faktisch in einen anderen Staat, mit Grenzkontrollen hinter furchteinflößenden Grenzwällen und einer SMS mit den neuen Mobilfunk-Tarifinformationen, "Marhaba, Smell the jasmine and taste the olives. JAWWAL welcomes you to Palestine!" Ein anderer Staat? Doch eigentlich innerhalb Israels, oder wie erzählten sie, Herr Reiseführer, gestern noch? Und weil das so ist und doch ganz anders sich verhält, darf er als Jude nicht dort einreisen. Wir aber schon, und Bethlehem mit der Kirche über der Geburtstätte Jesu erwartet uns. Nun, eigentlich hatte ich erwartet, in eine Art Drittweltland zu fahren. Das Westjordanland steht in den BIP-Statistiken schließlich auf einer Stufe mit Tschad und Bangladesh. Aber weit gefehlt! Die Häuser sehen neu aus, die Straßen sind sauber und man fährt auch hier gern Daimler. Bettler sieht man im Gegensatz zu Jerusalem keine. Weshalb das so ist, wird auch unmissverständlich klar gemacht. Großflächige Werbeplakate verkünden den großzügigen Sponsor: European Union. Von Bethlehem aus wurden übrigens bis vor einigen Jahren die Wohngebiete Jerusalems mit Raketen beschossen. Zur Zeit ist Frieden, die meterhohe Mauer zwischen Israel und Palästina ist mit "I love Tourists" besprüht und die Bethlehemer Familienväter kehren gegen 16 Uhr von ihrer Arbeit in Jerusalem heim. Der Frieden, so scheint es mir, ist halt Verhandlungssache und meine ganz persönliche Einkommenssteuer dieses Jahr hat vielleicht einige Gramm einer nicht abgefeuerten Kassam bezahlt.