Tag Drei



Mit dem Schreiben der Blogeinträge komm ich zeitlich gar nicht mehr hin, das Einstellen ins Internet hat bis heute auch nicht geklappt. Jeden Tag sind wir bis spät abends unterwegs und fallen völlig fertig ins Bett; Aufstehen ist zwischen 6 und 7 Uhr frühs. Meine schon vor der Reise bestehende Erkältung wird durch diverse Klimaanlagen in Bus und Hotelzimmer nicht gerade abgemildert, trotz Temperaturen von über 30 Grad, die in der Mittagssonne noch weit drüber liegen. Und heute steht auf dem Programm: eine Stunde Wartezeit ohne Schatten oder kühlendes Lüftchen, um die Al-Aqsa-Moschee und den Felsendom besuchen zu können. Die Palästinenser, die diesen südöstlichen Teil der Jerusalemer Altstadt - den Tempelberg als drittheiligste Stätte des Islam - kontrollieren, gewähren nämlich nur wenige Stunden pro Tag Einlass. Aber durch die strenge Besucherregulierung ist es hier angenehm beschaulich und man kann den wirklich schönen Felsendom herrlich genießen.

Nach einem kurzen Ausflug zum Ölberg mit dortigen christlichen heiligen Stätten und einem wunderbaren Blick über die Jerusalemer Altstadt sowie einem Besuch im größten Museum Israels fahren wir nach Yad Vashem. Eigentlich braucht man etwa vier Stunden, um die ganze Holocaust-Gedenkstätte mit allen Ausstellungen gesehen zu haben. So viel Zeit haben wir leider nicht mehr bis zur Schließung um 16:30 Uhr. Ich nehme mir also vor, alles, was ich schaffe, sehr genau wahrzunehmen und alle begleitenden Audio-Guide-Beiträge vollständig zu hören - eben bis die Zeit vorüber ist. Lieber Weniges intensiv als Alles nur oberflächlich. Es ist ein Museum über den Holocaust - als solches würde ich mir natürlich wünschen, dass es vergleichbares auch in Deutschland gäbe - und daher ist es verständlich, dass der Fokus auf der nationalsozialistischen Judenvernichtung liegt. Nur manchmal vermisste ich einen etwas weiteren Rahmen, etwas mehr Grundlagen über die Geschichte der Pogrome und der schwierigen Beziehungen zwischen Juden und ihren Mitmenschen weltweit. Nicht, um die Einmaligkeit des Holocaust relativiert zu wissen, das Gewiss nicht, sondern um eben das dort Veranschaulichte einordnen zu können, um das Einmalige wirklich als solches zu verstehen.

Soweit zum Rationalen. Yad Vashem ist eine hervorragend gemachte Ausstellung, mit Liebe zum Detail und mit wertvollen Zeitdokumenten, die nahe gehen, richtig nahe gehen. Sehr viele Aspekte des Holocausts werden eingehend dargestellt und die vielen Eindrücke, anhand von Bildern, Gegenständen, Texten, Videos, Tönen, gehen unter die Haut. Etliches Neues erfährt man und bekommt ein Gespür für die schiere Größe dieses Massenmordes. Allein die Anzahl der ermordeten jüdischen Kinder ist nicht begreifbar ehe man beispielsweise im hierfür eigens errichteten Mahnmal mittels gelungener Visualierungen spürt, was diese reine Zahl eigentlich bedeutet. Anderes ist durch seine Wirklichkeit so nahegehend; man sieht eben echte Filmaufnahmen des Warschauer Ghettos, echte Gegenstände aus den Lagern, echte Kontrollberichte eines Aufsehers und echte Zyklon-B-Behälter. Bei vielen solcher Themen mit ihrer ganzen Wucht der Offenlegung des Geschehenen fühl ich mich jedoch schrecklich allein. Bei einigen Ausstellungsstücken möchte ich einfach nur die Hand von Jemandem halten. Jemand, von dem ich weiß, dass er grad dasselbe fühlt und dem ich die Hand noch fester drücke, um zu sagen "Ich fühle! und will nicht ohne Mitgefühl leben".

Am Abend gehen wir noch einmal zur Klagemauer, so wie am ersten Tag. Nur abends kann man hier wirklich den Zauber dieses Ortes erleben. Unbeschreiblich schön und besinnlich. Alte und junge Männer lesen, beten, unterhalten sich leise; ihre Kinder spielen selbstvergessen zwischen den Bücherschränken neben der Mauer; einige Talmudschüler lauschen ihrem Lehrer. Die Touristen sind mit ihren Bussen bereits abgereist und die einbrechende Nacht gibt jedem Augenblick, jedem Gedanken etwas geborgenes und man fühlt sich heimisch, ganz als ob man schon immer Jerusalemer wäre. Auf dem Rückweg wandern wir auch nochmals durch die Altstadt und genießen auch hier die Abendstunden in den kleinen Gassen mit den gerade schließenden Läden und noch geöffneten kleinen Cafés. Schön ist es, hier zu sein.




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