Tag Vier



Wir verlassen heute Jerusalem, das seit 1967 nicht mehr zur Hälfte jordanisch ist, sondern ungeteilt zu Israel gehört und dessen Hauptstadt ist - freilich international als solche nicht anerkannt. Die alte Teilung in jüdischen Westen und arabischen Osten ist zwar größtenteils noch siedlungsmäßig vorhanden, aber im Gegensatz zu den Autonomiegebieten ist Jerusalem mit seinem Umland tatsächlich ein Gebiet, in dem Juden, Christen und Moslems ohne meterhohe Grenzanlagen zusammenleben. Es ist die Sehnsucht der Palästinenser nach einem eigenen Staat - ohne israelische Bevormundungen -, die es verunmöglicht, dieses Miteinander im ganzen Land zu verwirklichen. Dabei ist der Lebensstandard der Araber diesseits des Jordans weitaus höher als derer in Syrien oder Jordanien.

Unser Reiseführer, der übrigens an so einigen Kriegen seines Landes teilnahm und daher mit Sicherheit etliche Palästinenser bereits umbrachte, hat hier auch eindeutige Ansichten, die trotz aller bemühten Neutralität gegenüber uns Besuchern seines Landes immer wieder durchscheinen: Das Festhalten an religiösen und kulturellen Eigenheiten macht blind gegenüber Perspektiven des Miteinanders und des Fortschritts. Und hierbei schließt er explizit auch die ultraorthodoxen Juden mit ein. Er sieht deutlich, dass es ein enormes Hindernis für Israels soziales Vorankommen ist, wenn es drei große Gruppen gibt, die kaum zum Wohlstand und zum Frieden beitragen können, sondern ausschließlich von Transferleistungen leben. Ebenjene für die reine Religion lebenden und somit nicht arbeitenden Juden zum Einen, die sehr hohe Anzahl und das Bild eines jeden israelischen Ortes prägenden von Wehrdienst Leistenden zum Zweiten, sowie zum Dritten all die Araber, die aufgrund ihrer nicht wirklich und überall vollzogenen Integration und ihrer geringen Bildung wenig zum Gemeinwohl beitragen können. Israels Wohlfahrt wird von sehr wenigen Steuerzahlern geleistet sowie von massiver Unterstützung vor allem amerikanischer Juden und politischen Vereinigungen. Israel, ein Staat mit so wenig eigenen Chancen und doch erlebt man überall eine Emsigkeit, ein Streben und ein Wirken hin zu Neuem und Großen, das Altehrwürdige und Zwischenmenschliche als Fundament all dessen gegenwärtig. Der Wille bewegt hier unendlich viel, nirgendwo spüre ich die Kraft des menschlichen Willens stärker als hier in Israel.

Wir fahren heute zu dem Ort, an dem Jesus getauft wurde. Es ist natürlich eine Touristenattraktion und man kann sogar völlig unkompliziert sich selbst taufen lassen. Wir belassen es jedoch dabei, ein wenig im Jordanwasser zu waten und eine Gruppe von philippinischen Baptisten beim rituellen Eintauchen zu beobachten. Danach geht es weiter nach Nazareth, eine stark von Christen geprägte Stadt. Hier sehen wir auch die historisch verbürgte Arbeitsstätte Jesu Vaters. Allerdings steht just an dieser Stelle ein herrenloser Staubsauger herum. Ich ignoriere ihn und würdige die Stätte so gut es geht. Nach einem kleinen Stadtbummel fahren wir nach Safed, einen der heiligsten Orte der Juden. Er war schwer umkämpft und ist heutzutage rein jüdisch. Hier leben die Einwohner stark traditionell und sind neben der reinen Lehre - teilweise kabbalistisch geprägt - vor allem der Kunst verschrieben. Ihre Malereien, die man hier besichtigen kann, sind in der Tat hoch anspruchsvoll und unbedingt sehenswert. Ein beschauliches, ruhiges kleines Städtchen mit wunderschönen Häusern, in herrlicher Umgebung gelegen. Erst kurz vor Verlassen dieses angenehmen und irgendwie auch intellektuell wirkenden Ortes sehe ich am Stadtrand einige Häuser, die völlig durchlöcherte Außenmauern haben. Hier herrschte jahrzehntelang immer wieder Krieg, bis vor wenigen Jahren, und diese Einschusslöcher machen das Leben hier, das ich kurz zuvor als völlig zeitlos empfand, unsagbar zerbrechlich.

Am Abend erreichen wir den bereits 1916 gegründeten Kibbuz Kfar Giladi, wo wir übernachten. Er liegt direkt an den Golanhöhen, an der libanesischen Grenze. Die Berge im Osten, Norden und Westen gehören zum Libanon, nur nach Süden hin blickt man nach Israel. Und auch hier gibt es immer wieder Raketenangriffe, die niemand absehen kann, die stets unerwartet hereinbrechen können, auch gänzlich ohne offiziellen Kriegsstatus. 2006 etwa starben zwölf Bewohner, denen ein Ehrenfriedhof gewidmet ist. Es bleibt heute ruhig hier, es ist angenehm und das Kibbuz-eigene Hotel hat einen hohen Komfort. Wir schwimmen noch ein paar Runden in einer kleinen Schwimmhalle und lassen uns die Geschichte dieses - so gar nicht mehr dem sozialistischen Geiste entsprechenden - Kibbuz' erzählen.