Erster Tag



Dass Israel ein besonderes Land ist, wird schon bewusst im märkischen Schönefeld. Während die Norwegenfliegenden an der Einbuchung nebenan sofort ihr Gepäck loswerden und ihre Tickets erhalten, müssen alle Israelreisenden Einzelinterviews über sich ergehen lassen. Skeptische Fragen, etwa, ob ich mal in einem arabischen Land gewesen bin, ob gestern Abend vor dem Einschlafen mein Gepäck unbeaufsichtigt gewesen sein könnte, oder wer genau mich am Zielflughafen abholen wird, werden gestellt. Meine Einwort-Antworten machen die freundliche Dame aber völlig k.o. und sie gibt entnervt auf. Klammheimlich denkt man sich dann natürlich "Ach, und wenn ich nun doch ein Terrorist bin?" Und tatsächlich gelingt es mir immerhin, ein verbotenes Feuerzeug durch drei verschiedene Sicherheitskontrollen in den Flieger zu schmuggeln.

Dass Israel aber auch nur ein Land wie jedes andere im TUI-Katalog ist, das machen mir dann bei Ankunft ein paar deutsche Touristinnen klar, die neben mir im Bus sitzen und ebenfalls vom Ben-Gurion-Airport nach Jerusalem wollen. Sie wundern sich über die merkwürdige Schrift auf den Anzeigetafeln, spekulieren, ob die von rechts nach links geschrieben wird, oder es eher ein "Gag" (sic!) ist, eh man sich darauf einigt, dass das im Arabischen (sic!) wohl so sei. Eine Mitreisende mit besonders berlinerischem Akzent tut ihr Wissen kund und erzählt, dass hier im Land die Frauen nicht in die Schule gehen dürfen. Mir wird ganz mulmig, wenn ich daran denke, dass ich womöglich ähnlich ahnungsbefreit in Israel respektive palästinensischen Autonomiegebieten unterwegs sein werde.

Es ist heiß, weitaus sommerlicher als für Mitte Oktober üblich, aber es ist auszuhalten. Die etwas laueren Abendstunden nutzen wir, um uns Jerusalem anzuschauen. Zunächst die nähere Hotelumgebung, dann die "Old City". Die Stadt macht einen bunten, überwältigenden Eindruck durch die so verschiedenen Menschen. Von ganz blass bis ganz schwarz, von modisch gestylt bis zum ultraorthodoxen Gewand laufen, ja rennen die Leute an einem vorbei. Die modisch gestylten geben Acht, dass sie keinen umrempeln, während die streng Gläubigen einen fast paranoiden Blick für den dreiviertel Meter vor ihren Füßen lediglich haben oder auch nur für die Tora in ihren Händen. Die Orthodoxen sind es auch, die ausnahmslos eine blasse Hautfarbe haben. Obwohl sie ebenso der mediterranen Sonne ausgeliefert sind wie alle anderen. Sie haben also einen besonders zielstrebigen Blick, ein zielstrebiges Schritttempo, zielstrebige Gedanken sicherlich; kombiniert mit koscherem Essen und Fastenzeiten ergibt das dann eine fast durchgängig extrem dünne, geradezu zierliche Gestalt.

Weshalb ich das erwähne? Je dunkler die Hautfarbe, desto profaner die Beschäftigung, stelle ich fest, und desto fülliger der Körper. Die ganz Schwarzen haben eine besondere Tätigkeit: Sie sind fast alle in der Sicherheitsbranche, sind also genau dort, wo es am gefährlichsten ist. Nein, keine Tendenz, sondern eindeutig auffällig. Ebenjene Branche ist stark präsent, denn jeder mittelgroße Fallafelladen hat einen Metalldetektor vor seiner Tür und einen Wachmann, der mehr oder weniger lustlos und wahllos diverse Auffälligkeiten näher untersucht. Eigentlich piept der Detektor ständig und es wäre unsinnig und geschäftsschädigend, jeden Gast wirklich auf Sprengstoff oder Knarren zu untersuchen. Wenn man jedoch Fotos machen möchte von solch einem Hoch(un)sicherheitsort, so wird leicht gereizt die Löschung der betreffenden Fotos verlangt. Erst nachdem man aber gefragt wird, aus welchem Land man stammt - vielleicht hätte ich sie nicht löschen brauchen, wenn ich Engländer oder Däne wäre. Aussehen und Herkunft sind in diesem Land, resümiere ich, enorm wichtig.

Auf dem Weg zur Jerusalemer Altstadt bekommen wir im Minutentakt neue Hinweise, welche Buslinie die richtige sei. So richtig weiß es niemand. Die Linie 1 hören wir zwar immer wieder, aber später stellt sich heraus, dass die ganz woanders fährt. Etliche der Menschen, die uns jeweils neue Busliniennummern nennen, darunter auch ein Schweizer Talmudschüler, lassen uns jedoch nicht aus den Augen und begleiten uns bis zum Ziel. Aus reiner Gastfreundlichkeit. Sonst hätten wir es auch tatsächlich nicht mehr geschafft an diesem Tag. Doch, umgänglich und freundlich sind hier alle - zu den Touristen ebenso wie untereinander. Unsere Odyssee zur Klagemauer ist unter den nun fünf Begleitern anscheinend ein lebhaftes Gesprächsthema. Oder vielleicht diskutieren sie auch nur, welcher Politiker dieses desaströse Busliniensystem zu verantworten hat. Das ist nämlich wirklich sehr unorthodox.

Mein erster Tag in Israel, in Jerusalem. Diese Stadt ist sicherlich wie keine andere. Dafür sehe ich allein zu viele Maschinenpistolen. Schwerst bewaffnete Soldaten und Soldatinnen stehen neben - wehrdienstbefreiten - streng religiösen Geistlichen mit mir an der Ampel. Jüdische Pilger aus Indien, Äthiopien und den Staaten stehen gegenüber, neben einer armenisch-christlichen Nonne und koreanischen Austauschstudenten. Hebräisch, Englisch und Arabisch wechseln innerhalb eines einzigen Gespräches ständig. Frage ich aber in der Altstadt nach dem Weg zu einer christlichen Kirche und befinde mich gerade im muslimischen Viertel, heißt es mitunter nur "don't know", obwohl es anderthalb Minuten Fußweg wären. Jedoch; im arabisch geführten Souvenirladen hängen "Free Palestine"-T-Shirts neben solchen mit leuchtenden Davidssternen. Geschäft ist Geschäft. Auch in Jerusalem.